Beziehungsunfähigkeit ist kein Versagen
Beziehungsunfähigkeit ist kein Versagen
Sie ist die Norm unserer Zeit
Ich hatte mal ein Paar in meiner Begleitung und es geschah etwas Berührendes: In einer Sitzung mit ihrer Geistführung bekam die Frau liebevoll gespiegelt, warum ihre Ehe so schwierig ist. Der Grund war einfach und zugleich erschütternd: Weder sie noch ihr Mann hatten je Menschen um sich, die ihnen vorleben konnten, wie eine gesunde Beziehung aussieht.
Was wir nicht gelernt haben, können wir nicht leben
Die beiden kommunizierten jahrelang aneinander vorbei. Wenn sie redeten, dann über die Nachbarn, das Wetter, die Arbeit – über alles, nur nicht über sich selbst. Über ihre Ängste, Träume, Verletzungen. Nichts. Stattdessen sammelten sich unausgesprochene Erwartungen an wie Gewitterwolken, bis es immer plötzlich zum Ausbruch kam und sie sich gegenseitig anschrien.
Ich erkannte: Zwischen ihnen lief ein stummer Vertrag, den keiner bewusst unterschrieben hatte. Ein Vertrag voller unausgesprochener Regeln darüber, wer was zu tun und zu sein hat – aber niemand hatte je die Bedingungen dieses Vertrags laut ausgesprochen.
Die Lieferantenbeziehung: Wenn Liebe an Bedingungen geknüpft wird
Was uns als Liebe verkauft wird, sind oft Lieferantenbeziehungen. „Ich liebe dich, weil du so ein gemütliches Zuhause schaffst.“ „Ich liebe dich, weil du mich zum Lachen bringst.“ „Ich liebe dich, weil du so gut Brot backen kannst.“
Aber ich frage dann immer: Was passiert, wenn diese Dinge wegfallen? Wenn das Zuhause nicht mehr gemütlich ist, das Lachen verstummt, das Brot nicht mehr gelingt? Was bleibt dann noch von der Liebe übrig?
Diese Art zu „lieben“ ist das Ergebnis einer Zeit, in der wir gelernt haben, dass Liebe verdient werden muss. Dass wir nur wertvoll sind, wenn wir etwas leisten, etwas geben, etwas erfüllen. Doch wahre Liebe ist bedingungslos – sie ist einfach da, weil du da bist.
Beziehungsunfähigkeit ist ein Zeitphänomen
Wir leben in einer Generation, die zwischen zwei Welten steht. Die alten Beziehungsmuster unserer Eltern und Großeltern funktionieren nicht mehr, aber neue, gesunde Muster haben wir oft nicht gelernt. Viele von uns wuchsen in Familien auf, in denen über Gefühle nicht gesprochen wurde, wo Konflikte unter den Teppich gekehrt oder lautstark ausgetragen wurden – aber nie konstruktiv gelöst.
Das ist keine Schande. Es ist einfach die Realität unserer Zeit.
Der erste Schritt: Ehrlichkeit mit uns selbst
Beziehungsunfähigkeit ist kein moralisches Versagen, sondern ein Lernfeld. Der erste Schritt ist die ehrliche Erkenntnis: „Ich weiß nicht, wie das geht – gesunde Beziehungen führen.“ Das ist mutig, nicht schwach.
Das Paar in meiner Begleitung macht inzwischen etwas Revolutionäres: Sie reden miteinander. Nicht über andere, sondern über sich. Über das, was sie bewegt, was sie benötigen, was sie fürchten. Sie lernen, den stummen Vertrag aufzulösen und bewusster miteinander umzugehen.
Beziehungen der neuen Zeit
In meinem neuen Buch, das am 15. September 25 erscheint, gehe ich tief in diese Thematik. Denn es ist Zeit für Beziehungen der neuen Zeit – Beziehungen, die auf Wahrheit, Klarheit und bedingungsloser Liebe (nein, es bedeutet nicht, zu allem ja und amen zu sagen) basieren. Beziehungen, in denen wir nicht mehr Rollen spielen, sondern authentisch sein dürfen.
Es ist möglich, diese neuen Wege zu lernen. Es braucht Mut, Geduld und die Bereitschaft, alte Muster loszulassen. Aber es lohnt sich – für jeden von uns und für alle, die nach uns kommen.
Bedingungslose Liebe bedeutet nicht bedingungslose Duldung
Hier ist es wichtig, ein weitverbreitetes Missverständnis zu klären: Bedingungslose Liebe bedeutet nicht, dass ich alles erdulden oder hinnehmen muss, was der andere tut oder nicht tut, sagt oder nicht sagt.
Bedingungslose Liebe heißt: Ich liebe dich als Mensch, unabhängig von deiner Leistung. Aber ich darf und soll trotzdem klar kommunizieren, was mir wichtig ist, welche Werte ich habe und was ich mir in unserer Beziehung wünsche. Ich darf Grenzen setzen und meine Bedürfnisse äußern.
Der Unterschied ist: Ich sage nicht „Ich liebe dich nur, wenn du dich so verhältst, wie ich es will“, sondern „Ich liebe dich, und mir ist wichtig, dass wir respektvoll miteinander umgehen.“ Das eine ist Erpressung, das andere ist ehrliche Kommunikation in Liebe.
Denn Liebe ist nicht das, was wir tun. Liebe ist das, was wir sind – und sie drückt sich in Wahrheit und Klarheit aus.