Begegnung in Eigenverantwortung

Begegnung in Eigenverantwortung

Begegnung in Eigenverantwortung

 

Wenn du mich liebst, dann …

Wir alle wünschen uns erfüllte Beziehungen. Nähe. Vertrauen. Leichtigkeit. Und doch landen wir immer wieder in denselben Mustern: Enttäuschung, Drama, Rückzug. Warum? Weil wir die Verantwortung gern beim anderen abladen.

„Wenn du mich wirklich liebst, dann gehst du heute nicht mit deinen Freunden weg.“ 
„Wenn du mich liebst, postest du keine anderen Bodybuilder, die du toll findest.“ (Das hat meine Tochter mal von ihrem damaligen Freund gehört.)
„Hör doch endlich auf mit …“
„Mach’s bitte wieder so wie früher.“ 

So verlockend diese Sätze sind – sie führen uns nicht weiter.

Was Eigenverantwortung in Beziehung bedeutet

Verantwortung in Beziehung heißt nicht, alles zu schultern oder immer stark sein zu müssen. Es heißt auch nicht, Schuld auf sich zu nehmen.

Es bedeutet: Ich erkenne meine Muster. Ich übernehme Verantwortung für meine Gefühle, anstatt sie beim anderen abzuladen. Es bedeutet, ehrlich hinzuschauen, wenn ich mich verletzt, unsicher oder ungeliebt fühle – und nicht sofort den anderen verantwortlich zu machen.

Kurz: Verantwortung heißt nicht, ich bin schuld, sondern ich bin bei mir.

Annehmen, was ist – statt passend machen

Ein großer Teil von Verantwortung ist die Bereitschaft, das anzunehmen, was gerade da ist. Auch wenn es unbequem ist und auch wenn es nicht so „schön“ aussieht.

Meine Tochter hat schon immer Bodybuilder gepostet, die sie toll fand. Schließlich ist es ihr Sport, den sie liebt. Genauso hat ihr damaliger Freund sie auch kennengelernt. Und trotzdem kam eines Tages: „Wenn du mich liebst, hör auf damit.“

Was war passiert? Seine Eifersucht war hochgekommen. Sein Gefühl von „nicht genug sein“. Und statt das als sein Thema anzuerkennen, sollte sie sich ändern.

Verantwortung hätte hier bedeutet: Ich erkenne, dass ich hier getriggert bin. Ich hole mir Unterstützung, um zu reflektieren. Ich lerne, dass für meine Emotionen niemand anderes verantwortlich ist – auch nicht meine Partnerin. Sie ist lediglich die die Emotionen auslöst.

Verantwortung heißt: Ich verlange nicht, dass der andere bitte schnell etwas ändert, damit ich mich wieder besser fühle. Ich halte aus, dass gerade Spannung da ist. Dass Dinge in Bewegung sind. Dass das Leben mir etwas zeigt.

Denn alles, was sich zeigt, ist dran. Egal was es ist. Und wenn wir das anerkennen, entsteht Raum – für echte Begegnung.

Dein Partner ist nicht dein Patient

Es ist verständlich, helfen zu wollen. Besonders, wenn man selbst als Coach, Therapeut oder Heiler arbeitet. Aber: Eine Partnerschaft ist kein Behandlungszimmer. Und Kinder sind keine Reparaturprojekte.

Wenn du deinem Partner gegenüberstehst, bist du nicht sein Arzt. Nicht sein Retter. Nicht sein Therapeut. Und wenn du dein Kind ansiehst, dann bitte: Sieh es nicht nur durch die Brille deiner eigenen alten Verletzungen.

Eigenverantwortung heißt, diese Rollen draußen zu lassen. Ich arbeite an meinen eigenen Themen – und respektiere, dass mein Gegenüber seinen eigenen Weg hat und geht.

Klarheit darf hier ruhig mal deutlich sein: Dein Partner ist kein Fall für deine Praxis. Und euer Küchentisch ist keine Couch für Beziehungs-„Therapiesitzungen“. 

Begegnung aus der Fülle

Wenn zwei Menschen sich so begegnen – jeder in seiner Verantwortung, ohne Erwartungen, ohne Therapieauftrag –, dann wird Beziehung frei. Frei von Abhängigkeit. Frei von subtiler Manipulation.

Es entsteht Raum für das, was wir uns im Grunde wünschen: Nähe, Lebendigkeit, Tiefe. Nicht, weil der andere uns heilt oder glücklich macht, sondern weil wir uns in unserer ganzen Eigenverantwortung begegnen.

Abschließend oder beginnend

Begegnung in Eigenverantwortung ist nicht immer leicht. Sie fordert uns. Sie konfrontiert uns. Aber genau darin liegt die Chance: Wir hören auf, uns gegenseitig zurechtzubiegen – und beginnen, uns wirklich zu begegnen.

Wenn dich diese Perspektive berührt, findest du in meinem Buch „Beziehung ist das Gegenteil von dem, was du denkst“ weitere klare Impulse und konkrete Beispiele, die Illusionen aufbrechen und neue Räume für Nähe öffnen.

Über die Autorin: Ich begleite in meinen Metamorphosis-Räumen auch Paare, und ich kann behaupten, so mancher hätte schon das Handtuch geworfen. Doch oft haben sich der Blick, die Gefühle und die Beziehung wieder gedreht.

Teile diesen Beitrag, gerne mit Menschen, die gerade in ihrer Beziehung strugglen. Egal, welche Beziehungen es sind, auch Geschwister können sich z. B. ziemlich einengen. Oder im Team gibt es eine Kollegin, die manipulativ und berechnend aus ihren Wunden heraus agiert.

Die halbe Wahrheit – das Unsichtbare davor

Die halbe Wahrheit – das Unsichtbare davor

Die halbe Wahrheit – das Unsichtbare davor

Die halbe Geschichte schützt dein Ego. Die ganze Geschichte heilt.

Es passiert ständig: Menschen erzählen ihre Geschichte – aber nur ab dem Moment, der ihnen in die Karten spielt. „Meine Freundin hat den Kontakt abgebrochen.“ „Mein Kollege ist völlig ausgerastet.“ „Meine Tochter ist so kalt geworden.“ „Meine Partnerin hat mich einfach verlassen.“

Und alle nicken: Wie gemein. Wie hart. Wie ungerecht. Ui, das kann ich mir gar nicht vorstellen, unglaublich.

Was gerne vergessen wird

Was fehlt, ist das Davor. Die Monate der Ignoranz. Die ständigen Abwertungen. Das stumme Desinteresse. Die Manipulationen. Die kleinen, aber ständigen Grenzübertritte.

Das wird gern verschwiegen. Denn es würde Verantwortung bedeuten. Es würde zeigen: Die plötzliche Trennung, der abrupte Bruch, das klare „Nein“ – sie kommen nie aus dem Nichts. Sie sind die Konsequenz.

Wir erzählen gern die Geschichten, in denen wir gut dastehen. Wo der andere der Böse ist. Wo wir nichts dafür können. Es ist so viel einfacher, sich als das unschuldige Opfer zu sehen, als zuzugeben: Vielleicht habe ich das mitverursacht.

Die Wahrheit ist: Menschen ziehen sich nicht grundlos zurück. Sie brechen nicht einfach so den Kontakt ab. Eine Grenze wird nicht aus dem Nichts auf einmal gezogen. Es reicht an einem Punkt ganz einfach. Sie werden nicht über Nacht kalt und distanziert. Das ist ein Prozess. Ein langer meist.

Die Täter-Opfer-Verdrehung

In unserer verdrehten Wahrnehmung wird derjenige, der eine Grenze setzt, schnell zum Täter erklärt. Das Opfer spielt gekränkt, verletzt, empört – und was wirklich im Vorfeld vorgefallen ist, bleibt unsichtbar.

Dabei ist es oft so: Wer sich zurückzieht, hat schon so viel hingeschluckt. Hat so oft versucht, es zu erklären. Hat so oft gehofft, dass sich etwas ändert. Bis die eigene Kraft aufgebraucht ist und nur noch der Selbstschutz bleibt.

Aber ein „Nein“ ist kein Angriff. Eine Distanzierung ist kein Verrat. Es ist Selbstschutz. Punkt. Es ist das Recht jedes Menschen, unversehrt bleiben zu wollen – emotional wie körperlich.

Die unbequeme Frage

Wenn wir Geschichten hören, sollten wir uns immer fragen: Was war davor? Welche Signale wurden übersehen? Wie oft wurde um Aufmerksamkeit gebeten, bevor die Stimme verstummt ist? Wie viele kleine Verletzungen haben sich angesammelt?

Und warum ist es leichter, den anderen zum Täter zu erklären, als sich das eigene Verhalten anzusehen?

Diese Frage ist unbequem. Sie stört die schöne, einfache Geschichte vom bösen Anderen und dem armen Ich. Sie fordert Ehrlichkeit. Mit sich selbst.

Was wirklich heilt

Heilung passiert nicht dadurch, dass wir uns als Opfer fühlen. Sie passiert dadurch, dass wir hinschauen. Auch auf das, was wir nicht gerne sehen.

Das heißt nicht, dass wir uns selbst verurteilen sollen. Es heißt: Verantwortung übernehmen für unseren Teil. Verstehen, wie Beziehungen wirklich funktionieren. Lernen, die Signale zu erkennen, bevor es zum Bruch kommt.

Wer bereit ist, das Unsichtbare davor anzuschauen, kann wirklich etwas ändern. Wer nur die halbe Geschichte erzählt, wird die gleichen Erfahrungen immer wieder machen.

Der Mut zur ganzen Wahrheit

Dieser Text ist kein Angriff. Er ist eine Einladung. Eine Einladung, ehrlicher zu werden. Mit sich selbst und mit anderen.

Denn die ganze Wahrheit ist nicht bequem, aber sie ist befreiend. Sie zeigt uns, wo wir wirklich etwas verändern können. Nicht beim anderen – bei uns selbst.

Das ist Bewusstheit: nicht die Geschichte zu erzählen, die uns gefällt, sondern die wahre Geschichte.

Es ist nie zu spät

Schau mal deine „Davor“ an. Nimm dir einen Moment und frage dich ehrlich: Wo in deinem Leben erzählst du vielleicht auch nur die halbe Geschichte? Welche Beziehung ist zerbrochen, und du weißt tief in dir, dass da mehr war als das, was du anderen erzählst?

Es ist nie zu spät für diese Ehrlichkeit. Nicht um dich zu verurteilen, sondern um zu verstehen. Um zu lernen. Um anders zu werden.

Ich wiederhole es gerne nochmals.
Die halbe Geschichte schützt dein Ego. Die ganze Geschichte heilt dein Leben.

Wenn dich dieser Artikel zum Nachdenken gebracht hat, dann wirst du in meinem neuen Buch noch tiefer fündig: ‚Beziehung ist das Gegenteil von dem, was du denkst‘ – eine ehrliche Auseinandersetzung mit den verborgenen Wahrheiten in Beziehungen.

Wenn Normalität krank macht

Wenn Normalität krank macht

Wenn Normalität krank macht

Warum Normopathie nichts mit Lebendigkeit zu tun hat

Neulich habe ich einen Podcast mit dem Psychiater Dr. Hans-Joachim Maaz gehört. Ein Wort darin ist sofort bei mir hängen geblieben: Normopathie.

Er beschreibt damit Menschen, die sich so stark der gesellschaftlichen Norm anpassen, dass sie ihre eigene Lebendigkeit verlieren. Sie machen Dinge nicht, weil sie sie selbst wollen – sondern weil „alle es so machen“ und es deswegen wohl richtig sein muss.

Das Verrückte daran: Genau diese Anpassung wird dann als gesund und normal betrachtet. Während derjenige, der anders denkt oder handelt, schnell als „falsch“ abgestempelt wird.

Ich habe dieses Spiel oft erlebt. Und ich möchte dir eine Geschichte erzählen, die zeigt, was Normopathie im Alltag bedeutet – und warum es manchmal gesünder ist, gegen den Strom zu schwimmen.

Ein Chor, ein Anruf – und pinkrote Haare

Mein ältester Sohn war damals 13 Jahre alt, mitten in der Pubertät und voll in seiner Selbstfindungsphase. Er sang bei den Augsburger Domsingknaben, und zwar nicht irgendwo, sondern in einer der ersten Stimmen. Seine Stimme war wichtig – für den Chorleiter und für das große Ganze.

Und dann kam der Moment, in dem er seine Autonomie ausleben wollte: pinke, rot gemischte Haare. Die Friseurin weigerte sich, also färbte ich sie ihm kurzerhand selbst.

Wenige Tage später klingelte mein Telefon. Am Apparat: der Chorleiter. Er war außer sich. „Frau Schwab, das geht nicht. Ihr Sohn singt bald vor dem Bundeskanzler. Er kann doch nicht mit solchen Haaren auftreten!“

Er schob noch ein Bild hinterher, das mich heute noch schmunzeln lässt: „Wenn ich 49 Jungs sage, sie sollen nach Westen laufen, dann rennen alle brav nach Westen. Nur einer rennt immer entgegengesetzt. Ihr Benjamin.“

Meine Antwort: „Das ist das Beste, was Sie mir über meinen Sohn erzählen.“

Anpassung oder Eigenständigkeit?

Natürlich blieb es nicht nur bei der Aussage. Die Erpressung folgte auf den Fuß: Wenn Benjamin die Haare nicht bis zu einem bestimmten Termin umfärbt, würde er aus dem Kammerchor ausgeschlossen. Hier ging es längst nicht mehr um Haare – es ging um Kontrolle versus Selbstbestimmung.

Ich habe mich damals bewusst entschieden, nicht über seinen Kopf hinweg zu bestimmen. Ich habe ihm die Situation erklärt: „Du kannst die Haare umfärben und beim Bundeskanzler singen. Oder du entscheidest dich dagegen – dann bist du allerdings raus.“

Seine Antwort war klar: „Dann gehe ich ganz raus.“ Und er zog das durch.

Mein zweiter Sohn, der gerade erst bei den Doms angefangen hatte, tat es ihm gleich. Damit verlor der Chor eine seiner besten Stimmen – und ich wusste: Meine Kinder haben einen Schritt in ihre Eigenständigkeit gemacht. Okay, der Jüngere hat es wohl eher seinem großen Bruder nachgemacht.

Was hier wie Trotz aussieht, ist in Wahrheit gesunde Selbstbehauptung. Ja, und ich habe das voll unterstützt.

Die Stimmen der anderen

Was mich fast mehr beschäftigte als der Chorleiter, waren die Reaktionen der anderen Eltern. Viele sprachen mich an: „Claudia, das kannst du doch nicht machen! Das ist doch so bedeutungsvoll, bei den Doms zu sein.“

Aber seien wir ehrlich: Bedeutend für wen? Für die Außenwirkung, fürs Prestige, fürs gesellschaftliche Bild. Für meinen Sohn war es nicht bedeutend. Er hat es bis heute nicht gebraucht und nie bereut.

Genau da liegt der Kern: Viele Eltern hätten sich das nie getraut. Sie hätten ihr Kind gezwungen, hätten seine Phase weggedrückt, um den Schein nach außen zu wahren. Doch damit lernen Kinder nicht, authentisch zu leben – sondern sie lernen, dass Anpassung wichtiger ist als ihre eigene Wahrheit.

Normopathie im Alltag

Das Beispiel zeigt: Normopathie beginnt nicht in den großen Systemen, sondern im Kleinen.

In der Schule, wenn alle dieselbe Meinung haben und das Kind, das anders denkt, als „komisch“ gilt.

Im Beruf, wenn man die Präsentation lieber anpasst, statt die unbequeme Wahrheit auszusprechen.

In Familien, wenn Harmonie über Ehrlichkeit gestellt wird.

Normopathie ist nicht böse gemeint … sie entsteht aus dem Bedürfnis nach Sicherheit und Zugehörigkeit. Doch sie kostet uns unsere Lebendigkeit.

„Alle machen es so“ – das ist kein Argument für Richtigkeit. Es ist oft nur ein Zeichen dafür, wie tief Menschen verlernt haben, ihrem eigenen Gefühl zu vertrauen. Diese Metapher der 49 Jungs, die nach Westen laufen, während einer entgegengesetzt rennt, zeigt es perfekt: Gleichschritt ist nicht automatisch der richtige Schritt.

Was wirklich gesund ist

Maaz hat recht: Die Krankheit liegt nicht im Abweichen, sondern im starren Mitschwimmen. Gesund ist es nicht, angepasst durchzuhalten. Gesund ist, sich selbst treu zu bleiben – auch wenn es unbequem ist.

Für mich war es damals klar: Lieber verliert mein Sohn den Platz im Chor, als dass er sich selbst verliert. Lieber wird er „der, der entgegengesetzt rennt“, als dass er brav im Gleichschritt marschiert.

Denn Lebendigkeit entsteht nicht aus Normen. Sie entsteht aus Mut, aus Authentizität, aus Selbsttreue.

Der erste Schritt aus der Normopathie

Der erste Schritt aus der Normopathie ist einfach, aber nicht leicht: Innehalten und fragen: „Will ICH das wirklich – oder tue ich es nur, weil es erwartet wird?

Diese eine Frage kann alles verändern. Sie bringt uns zurück zu uns selbst, weg von dem, was andere für richtig halten, hin zu dem, was FÜR UNS richtig ist.

Und jetzt du

Schau mal ehrlich auf dein Leben:

Wo rennst du nach Westen, nur weil alle nach Westen rennen?

Wo hast du dich angepasst, obwohl es sich innerlich falsch angefühlt hat?

Und wo könntest du den Mut finden, endlich in die andere Richtung zu laufen?

Normopathie klingt nach einem komplizierten Fachwort. In Wahrheit ist es nur ein anderes Wort für das, was uns alle betrifft: den Kampf zwischen Anpassung und Echtheit.

Am Ende bleibt eine einfache Wahrheit: Normalität macht nicht gesund. Selbsttreue schon.

Die Rückkehr zur inneren Verantwortung ist ein Akt der Selbstliebe – und damit der Liebe zur Welt.

Über die Autorin: Ich begleite Menschen dabei, wieder zu ihrer inneren Wahrheit zu finden. Mein Ansatz verbindet spirituelle Weisheit mit Klarheit – für ein Leben, das von innen heraus stimmig ist.

Teile diesen Beitrag: Falls du jemanden kennst, der gerade zwischen Anpassung und Selbsttreue ringt. Manchmal ist es der Mut eines anderen, der uns zeigt: Es ist okay, entgegengesetzt zu laufen.

Wenn wir ein Leben leben, das nicht unseres ist

Wenn wir ein Leben leben, das nicht unseres ist

Wenn wir ein Leben leben, das nicht unseres ist

Aus Vertrauen übernehmen wir Muster, bis wir den Mut finden, sie zu hinterfragen.

Es geschieht so unmerklich, so selbstverständlich, dass wir es zunächst gar nicht bemerken: Wir übernehmen die Überzeugungen, Ängste und Träume anderer Menschen und machen sie zu unseren eigenen. Was als natürlicher Lernprozess beginnt, wird manchmal zu einem stillen Gefängnis, in dem wir ein Leben führen, das nie wirklich unseres war.

Die ersten Prägungen

Als Kinder sind wir von Natur aus empfänglich und vertrauensvoll. Wir schauen zu den Erwachsenen auf, die uns umgeben, und nehmen ihre Art, die Welt zu sehen, als die einzig mögliche Wahrheit an. Ihre Überzeugungen über Erfolg und Versagen, über Liebe und Beziehungen, über das, was „richtig“ und „falsch“ ist, werden zu unseren eigenen Glaubenssätzen.

In liebevollen, bewussten Familien geschieht dies auf eine Weise, die Raum lässt für die eigene Entdeckung und Entfaltung. Doch oft werden uns diese Prägungen mit einer Intensität und Absolutheit vermittelt, die keinen Spielraum für eigene Erfahrungen zulässt. Besonders in Familien, in denen Angst, Kontrolle oder sogar Gewalt herrschen, lernen wir früh: Es ist nicht sicher, anders zu sein. Es ist nicht erlaubt, zu hinterfragen.

Die verlorene Pubertät

Die Pubertät ist von der Natur als Zeit der Ablösung gedacht. Es ist die Phase, in der wir beginnen sollten, unsere eigene Stimme zu finden, unsere eigenen Werte zu entwickeln, unsere eigenen Grenzen zu erkunden. Doch wenn das familiäre Umfeld diese natürliche Entwicklung als Bedrohung empfindet, wenn Widerspruch bestraft und Eigenständigkeit unterdrückt wird, dann bleibt dieser wichtige Entwicklungsschritt unvollständig.

Wir spüren innerlich, dass etwas nicht stimmt. Wir stellen Fragen, wir zweifeln – aber leise, heimlich, weil wir gelernt haben, dass es gefährlich ist, diese Zweifel zu äußern. Was bleibt uns übrig? Wir sind noch abhängig, finanziell und emotional. Wir haben noch nicht die Kraft oder die Mittel, einen anderen Weg einzuschlagen.

Also fügen wir uns. Wir lernen, unsere innere Stimme zu überhören, weil wir nicht gehört werden.

Die Fortsetzung des Musters

Wenn wir endlich alt genug sind, um das Elternhaus zu verlassen, tragen wir diese gelernten Muster in uns. Wir sind so daran gewöhnt, dass andere bestimmen, was richtig für uns ist, dass wir oft unbewusst Partner oder Situationen wählen, die genau diese Dynamik fortsetzen.

Der neue Partner, der uns vorschreibt, wie wir zu leben haben. Der Beruf, den wir ergreifen, weil er den Erwartungen entspricht, nicht unseren tiefsten Sehnsüchten. Die Freundschaften, in denen wir wieder die Rolle des angepassten, problemlosen Menschen spielen.

So war es auch bei mir: Der erste Partner setzte nahtlos fort, was das Elternhaus begonnen hatte – er bestimmte, was ich durfte und was nicht, was richtig war und was falsch.

Jeder Versuch, aus diesem Muster auszubrechen, fühlt sich zunächst bedrohlich an. Die alten Ängste melden sich: Was, wenn ich abgelehnt werde? Was, wenn ich scheitere? Was, wenn ich allein bin? Oft ist der Schmerz der Veränderung größer als der Schmerz des Verharrens – zumindest kurzfristig.

Ich sehe das immer wieder in meiner Begleitung: Eine Frau möchte sich von ihrem Mann trennen, weiß genau, dass die Beziehung ihr nicht guttut … und schafft es trotzdem nicht. Die permanente innere Zerrissenheit zwischen dem, was sie fühlt, und dem, was sie lebt, legt sich wie ein Schatten über ihr ganzes Leben. Diese latente Traurigkeit strahlt sie aus, und das spüren andere Menschen. Es beeinflusst ihre Arbeit, ihre anderen Beziehungen, ihre gesamte Lebensenergie.

Der Preis des falschen Lebens

Doch unsere Seele, unser wahres Wesen, lässt sich nicht dauerhaft zum Schweigen bringen. Wenn wir permanent gegen unsere eigene Natur leben, wenn wir ständig Rollen spielen, die nicht zu uns passen, dann entsteht ein tiefer, chronischer Stress in unserem System.

Dieser Stress ist nicht nur emotional spürbar. Er manifestiert sich körperlich, energetisch, in jeder Zelle unseres Seins. Der Körper ist ehrlich … er kann nicht lügen wie der Verstand. Er zeigt uns durch Erschöpfung, durch Krankheit, durch Depression oder Angst, dass wir nicht im Einklang mit uns selbst leben.

Menschen, die jahrelang, jahrzehntelang ein Leben führen, das nicht ihres ist, zahlen einen hohen Preis. Sie werden krank – nicht nur körperlich, sondern in ihrer ganzen Existenz. Die Lebenskraft schwindet, die Freude erlischt, kein wirklicher Erfolg stellt sich im Leben ein, das Gefühl für das eigene Selbst geht verloren.

Der Weg zur Wahrheit

Es ist nie zu spät, diesen Weg zu verlassen – aber es braucht Mut. Es braucht die Bereitschaft, durch die Angst hindurchzugehen, die uns so lange gefangen gehalten hat. Es bedeutet, die Stimme in uns wiederzuhören, die vielleicht schon sehr leise geworden ist.

Manchmal geschieht das Erwachen durch eine Krise, durch Krankheit oder Verlust. Manchmal durch eine zufällige Begegnung, ein Buch, einen Moment der Stille, in dem wir plötzlich spüren: So kann es nicht weitergehen.

Der Weg zurück zu uns selbst ist kein einfacher. Er bedeutet oft, vertraute Strukturen zu verlassen, Menschen zu enttäuschen, die sich an unsere alte Rolle gewöhnt haben. Er bedeutet, Verantwortung für unser eigenes Leben zu übernehmen, auch wenn wir uns dabei zunächst verloren fühlen.

Die Heilung liegt in der Wahrheit

Aber in dieser Wahrheit, so schmerzhaft sie zunächst sein mag, liegt auch die Heilung. Wenn wir beginnen, authentisch zu leben, wenn wir unsere eigenen Werte leben, unsere eigenen Träume verfolgen, unsere eigenen Grenzen setzen – dann kehrt die Lebenskraft zurück.

Der Körper entspannt sich, weil er endlich das leben darf, was er ist. Die Seele atmet auf, weil sie endlich gesehen wird. Das Leben wird nicht automatisch einfacher, aber es wird wahr. Und in dieser Wahrheit liegt eine Kraft, die größer ist als alle Ängste.

Im Gedenken an all jene, die den Mut nicht mehr oder viel zu spät fassen konnten, ihren eigenen Weg zu gehen. Ihre Geschichten erinnern uns daran, wie kostbar es ist, authentisch zu leben – und wie wichtig es ist, einander auf diesem Weg zu unterstützen.

Über die Autorin: Ich begleite Menschen dabei, wieder zu ihrer inneren Wahrheit zu finden. Mein Ansatz verbindet spirituelle Weisheit mit bodenständiger Klarheit – für ein Leben, das von innen heraus stimmig ist.

Teile diesen Beitrag: Wenn dieser Text dich berührt hat, teile ihn gerne mit Menschen, denen er helfen könnte. Manchmal braucht es nur einen Text, ein Gespräch, einen Moment der Erkenntnis, um den ersten Schritt in Richtung authentisches Leben zu machen.

Beziehungsunfähigkeit ist kein Versagen

Beziehungsunfähigkeit ist kein Versagen

Beziehungsunfähigkeit ist kein Versagen

 

Sie ist die Norm unserer Zeit

Ich hatte mal ein Paar in meiner Begleitung und es geschah etwas Berührendes: In einer Sitzung mit ihrer Geistführung bekam die Frau liebevoll gespiegelt, warum ihre Ehe so schwierig ist. Der Grund war einfach und zugleich erschütternd: Weder sie noch ihr Mann hatten je Menschen um sich, die ihnen vorleben konnten, wie eine gesunde Beziehung aussieht.

Was wir nicht gelernt haben, können wir nicht leben

Die beiden kommunizierten jahrelang aneinander vorbei. Wenn sie redeten, dann über die Nachbarn, das Wetter, die Arbeit – über alles, nur nicht über sich selbst. Über ihre Ängste, Träume, Verletzungen. Nichts. Stattdessen sammelten sich unausgesprochene Erwartungen an wie Gewitterwolken, bis es immer plötzlich zum Ausbruch kam und sie sich gegenseitig anschrien.

Ich erkannte: Zwischen ihnen lief ein stummer Vertrag, den keiner bewusst unterschrieben hatte. Ein Vertrag voller unausgesprochener Regeln darüber, wer was zu tun und zu sein hat – aber niemand hatte je die Bedingungen dieses Vertrags laut ausgesprochen.

Die Lieferantenbeziehung: Wenn Liebe an Bedingungen geknüpft wird

Was uns als Liebe verkauft wird, sind oft Lieferantenbeziehungen. „Ich liebe dich, weil du so ein gemütliches Zuhause schaffst.“ „Ich liebe dich, weil du mich zum Lachen bringst.“ „Ich liebe dich, weil du so gut Brot backen kannst.“

Aber ich frage dann immer: Was passiert, wenn diese Dinge wegfallen? Wenn das Zuhause nicht mehr gemütlich ist, das Lachen verstummt, das Brot nicht mehr gelingt? Was bleibt dann noch von der Liebe übrig?

Diese Art zu „lieben“ ist das Ergebnis einer Zeit, in der wir gelernt haben, dass Liebe verdient werden muss. Dass wir nur wertvoll sind, wenn wir etwas leisten, etwas geben, etwas erfüllen. Doch wahre Liebe ist bedingungslos – sie ist einfach da, weil du da bist.

Beziehungsunfähigkeit ist ein Zeitphänomen

Wir leben in einer Generation, die zwischen zwei Welten steht. Die alten Beziehungsmuster unserer Eltern und Großeltern funktionieren nicht mehr, aber neue, gesunde Muster haben wir oft nicht gelernt. Viele von uns wuchsen in Familien auf, in denen über Gefühle nicht gesprochen wurde, wo Konflikte unter den Teppich gekehrt oder lautstark ausgetragen wurden – aber nie konstruktiv gelöst.

Das ist keine Schande. Es ist einfach die Realität unserer Zeit.

Der erste Schritt: Ehrlichkeit mit uns selbst

Beziehungsunfähigkeit ist kein moralisches Versagen, sondern ein Lernfeld. Der erste Schritt ist die ehrliche Erkenntnis: „Ich weiß nicht, wie das geht – gesunde Beziehungen führen.“ Das ist mutig, nicht schwach.

Das Paar in meiner Begleitung macht inzwischen etwas Revolutionäres: Sie reden miteinander. Nicht über andere, sondern über sich. Über das, was sie bewegt, was sie benötigen, was sie fürchten. Sie lernen, den stummen Vertrag aufzulösen und bewusster miteinander umzugehen.

Beziehungen der neuen Zeit

In meinem neuen Buch, das am 15. September 25 erscheint, gehe ich tief in diese Thematik. Denn es ist Zeit für Beziehungen der neuen Zeit – Beziehungen, die auf Wahrheit, Klarheit und bedingungsloser Liebe (nein, es bedeutet nicht, zu allem ja und amen zu sagen) basieren. Beziehungen, in denen wir nicht mehr Rollen spielen, sondern authentisch sein dürfen.

Es ist möglich, diese neuen Wege zu lernen. Es braucht Mut, Geduld und die Bereitschaft, alte Muster loszulassen. Aber es lohnt sich – für jeden von uns und für alle, die nach uns kommen.

Bedingungslose Liebe bedeutet nicht bedingungslose Duldung

Hier ist es wichtig, ein weitverbreitetes Missverständnis zu klären: Bedingungslose Liebe bedeutet nicht, dass ich alles erdulden oder hinnehmen muss, was der andere tut oder nicht tut, sagt oder nicht sagt.

Bedingungslose Liebe heißt: Ich liebe dich als Mensch, unabhängig von deiner Leistung. Aber ich darf und soll trotzdem klar kommunizieren, was mir wichtig ist, welche Werte ich habe und was ich mir in unserer Beziehung wünsche. Ich darf Grenzen setzen und meine Bedürfnisse äußern.

Der Unterschied ist: Ich sage nicht „Ich liebe dich nur, wenn du dich so verhältst, wie ich es will“, sondern „Ich liebe dich, und mir ist wichtig, dass wir respektvoll miteinander umgehen.“ Das eine ist Erpressung, das andere ist ehrliche Kommunikation in Liebe.

Denn Liebe ist nicht das, was wir tun. Liebe ist das, was wir sind – und sie drückt sich in Wahrheit und Klarheit aus.

Wenn Tiefe als Drama abgestempelt wird

Wenn Tiefe als Drama abgestempelt wird

Wenn Tiefe als Drama abgestempelt wird

Was ist Tiefe für dich?

Lies nicht einfach weiter.
Halte kurz inne.
Was ist Tiefe – für dich?

Nicht das, was du gern hättest. Nicht das, was du von außen übernommen hast. Sondern das, was du in dir spürst, wenn es still wird. Kennst du diese Qualität?

Oder verwechselst du Tiefe mit kompliziertem Denken, mit emotionalem Aufruhr oder mit esoterisch gefärbter Melancholie?

Ich sage dir: Die wenigsten Menschen kennen Tiefe.
Viele haben sie nie erlebt.
Und wenn sie ihnen begegnet, verwechseln sie sie mit Drama. Mit Unbequemlichkeit. Mit Bedrohung.

Die Spaghetti-Gabel, die keiner will

Ich war schon immer tief.
Nicht, weil ich klüger war. Sondern, weil ich nicht anders konnte.
Ich habe gespürt, was unausgesprochen war.
Ich habe gesehen, wo andere weggeschaut haben.
Ich habe Fragen gestellt, lange bevor andere wussten, dass da überhaupt ein Thema war.

Und genau das hat dazu geführt, dass ich immer wieder gehört habe:
„Du bist zu viel.“
Du bist unmöglich.
„Du übertreibst.“
„Mach doch kein Drama.“

Aber es war nie ein Drama. Es war nur Tiefe. Und die ist für viele nicht auszuhalten.

Ich komm nicht mit der Keule (ok., manchmal schon). Ich komme mit der Gabel. Mit der Spagetti-Gabel.
Ich dreh das Thema auf, hebe es an – und sage:
„Schau mal hin. Da ist etwas.“

Und dann wird’s oft still. Oder abwehrend. Dann flüchten manche auch.
Weil das, was sichtbar wird, unbequem ist. Echt und unbequem. Und das bedeutet: Man kann nicht mehr so tun, als wäre alles okay.

Wenn das „Zu viel“ nicht dir gehört

Früher hat mich das verunsichert. Wenn ich gespürt habe, dass meine Tiefe nicht ankommt.
Wenn Menschen sich zurückgezogen haben, mich als schwierig oder überfordernd empfanden.

Ich habe gezweifelt. Mich gefragt, ob ich falsch bin.
Heute weiß ich: Ich war nicht zu viel. Ich war nur zu echt. Und das war für viele zu früh.

Es ist leichter, Tiefe als Drama zu bezeichnen, als zuzugeben, dass man sich nicht berühren lassen will.
Leichter, den Spiegel abzulehnen, als hineinzusehen.

Tiefe braucht Mut. Nicht, weil sie laut ist – sondern weil sie nichts beschönigt.
Sie konfrontiert.
Sie bleibt stehen, wo andere flüchten. Sie sagt nicht: „Alles gut.“
Sondern: „Hier stimmt etwas nicht – fühlst du das auch?“

Zwischen Sehnsucht und Flucht

Das Paradoxe ist: Die meisten Menschen sehnen sich nach Tiefe. Nach echter Verbindung. Nach Berührung.
Sie sagen: „Ich will mehr Echtheit. Mehr Wahrhaftigkeit.“

Aber wenn sie dann der Tiefe begegnen, reagieren sie mit Abwehr. Sie weichen aus. Werden still. Oder laut. Manchmal sogar abwertend, verurteilend.
Denn die Tiefe reißt den Lack runter. Und viele haben sich über Jahre hinweg aufwendig lackiert.

Tiefe ist kein Zustand für Zuschauer. Sie fordert Beteiligung. Sie macht dich sichtbar – für dich selbst und für andere. Und genau davor haben viele Angst.

Tiefe ist nicht Drama. Tiefe ist Stille, die dich trifft

Drama ist laut, reaktiv, aufgeladen. Tiefe ist das Gegenteil.
Sie ist die Stille, in der etwas in dir plötzlich in Bewegung gerät.
Nicht, weil es muss. Sondern, weil es lebendig ist.

Wenn du also das nächste Mal jemanden triffst, der nicht an der Oberfläche bleibt, der nicht drum herum redet, der deine Themen nicht umschifft,
sondern sie dir liebevoll – oder auch unbequem – hinlegt: Dann frag dich nicht, ob das zu viel ist.
Frag dich, ob du bereit bist.

Und wenn du bis hierhin gelesen hast …

… dann gehörst du wahrscheinlich zu den wenigen, die Tiefe nicht nur wollen, sondern auch aushalten. Oder du bist kurz davor, dich darauf einzulassen.

Vielleicht bist du selbst jemand, der sie in sich trägt – und oft daran zweifelt, weil andere sie nicht erkennen.
Vielleicht spürst du genau jetzt, dass du dich danach sehnst, mehr in Kontakt mit dir zu kommen. Ohne Masken. Ohne Versteckspiel.

Dann ist das hier kein Blogbeitrag.
Sondern eine Einladung.
Eine Erinnerung.
Ein leiser Ruf: Du bist nicht zu viel. Du bist Tiefe.
Und die wird nicht dramatisch – sie wird nur oft nicht verstanden.