Spirituelles Bypassing

Spirituelles Bypassing

Spirituelles Bypassing

Die liebevolle Illusion, die dich gefangen hält

„Wenn es schmerzt, ist es keine Liebe“ …  kennst du diesen Satz? Er klingt so wunderbar spirituell, so erhaben. Und er ist einer der gefährlichsten Sätze, die in scheinbar spirituellen Kreisen kursieren.

Warum? Weil er zu einer der verbreitetsten Illusionen in der spirituellen Welt führt: dem spirituellen Bypassing.

Was ist spirituelles Bypassing?

Spirituelles Bypassing bedeutet, spirituelle Konzepte und Phrasen zu nutzen, um unangenehmen Gefühlen, schwierigen Situationen oder der eigenen Schattenarbeit aus dem Weg zu gehen. Statt hinzuschauen, wird weggeschaut, aber mit einem spirituellen Mäntelchen drumherum.

Das hört sich dann so an:

„Ich kann nicht in dieses Restaurant, da sind so negative Schwingungen.“ „Das fühlt sich nicht gut für mich an, da gehe ich nicht hin.“ „Wenn es schmerzt, kann es nicht richtig sein.“ „Alles ist perfekt, wie es ist.“ „Ich vergebe allen, deshalb muss ich keine Grenzen setzen.“ „Wut ist eine niedere Schwingung, ich darf nicht wütend sein.“ „Wenn ich nur positiv denke, lösen sich alle Probleme.“ „Das Universum gibt mir nur, was ich verkraften kann.“ (besonders perfide bei Traumata)

Klingt spirituell, oder? Ist es aber nicht.

Der Lichtschalter-Test

Hier ein einfacher Test: Stell dir vor, du gehst in einen dunklen Raum und machst das Licht an. Was passiert mit der Dunkelheit? Sie verschwindet. Sofort ohne Drama.

Wenn du wirklich Licht bist … wie so viele behaupten, es zu sein … dann müsste jede „negative Energie“ in deiner Gegenwart einfach verschwinden. Punkt. Kein Gerede von „schlechten Vibes“, die dich überwältigen können.

Wenn du aber sagst, du könntest nicht in ein Lokal, weil dort negative Energie ist, dann gibst du zu: Du bist nicht das Licht, das du zu sein behauptest.

Achtung: Das bedeutet nicht, dass du in jeder Situation bleiben musst, die dir unangenehm ist. Wenn dir ein Café nach einer Stunde zu laut wird oder du dich in einer Situation unwohl fühlst, ist es völlig in Ordnung, zu gehen. Das ist gesunde Selbstfürsorge.

Der Unterschied liegt darin: Gehst du weg, weil du eine konkrete Überforderung spürst? Oder erfindest du „schlechte Energien“, um gar nicht erst hinzugehen oder dich nicht mit dem auseinanderzusetzen, was in dir getriggert wird?

Warum echte Spiritualität manchmal wehtut

Hier ist eine unbequeme Wahrheit: Echte spirituelle Entwicklung ist nicht immer angenehm. Sie erfordert, dass du in deine Schatten schaust. Dass du deine Projektionen zurücknimmst. Dass du aufhörst, andere für deine Gefühle verantwortlich zu machen.

Das tut weh. Nicht, weil es „keine Liebe“ ist, sondern weil Wachstum oft unbequem ist.

Wenn ein Chirurg sagt: „Sie brauchen eine Operation“, ist das auch nicht „lieblos“ – es ist liebevoll, weil es dich heilt.

Wenn du merkst, dass dich bestimmte Menschen immer wieder triggern, ist die spirituelle Antwort nicht: „Die haben ne schlechte Energie, ich meide sie.“ Die spirituelle Antwort ist: „Was in mir reagiert da so heftig? Was zeigen sie mir über mich selbst?“

Die Shiny-Shiny-Industrie

Warum ist spirituelles Bypassing so verbreitet? Weil es sich verkauft.

7-Tage-Erleuchtung! Aktiviere deine DNA – du musst nur zwei Kurven rückwärtslaufen! Manifestiere dein Traumleben, klopfe dir jeden Tag 5-mal gegen den Hinterkopf!

Das glitzert. Das verspricht Transformation ohne Anstrengung. Das ist spirituelles Fast Food. Aber gegen McDonald’s wettern.

Und dieses Prinzip findest du überall: Bei Business-Coaches, die versprechen, dass du in einem Monat fünf-, sechs- oder siebenstellig verdienst. In der Krypto-Welt mit Schneeballsystemen und „Empfehlungs-Kryptos“, die kein echtes Kryptoverhalten sind.

Das Muster ist immer dasselbe: Shiny-Shiny statt Substanz. Schnelle Ergebnisse statt echter Arbeit.

Dabei wäre die Wahrheit so einfach: Ob Spiritualität, Business oder Krypto … überall geht es um Eigenverantwortung. Echtes Krypto bedeutet Eigenverantwortung für dein Geld. Echtes Business bedeutet Eigenverantwortung für deinen Erfolg. Echte Spiritualität bedeutet Eigenverantwortung für dein Bewusstsein.

Wer will schon hören: „Du musst jahrelang an dir arbeiten, deine Muster durchschauen und durch unangenehme Gefühle hindurchgehen“? Das verkauft sich nicht so gut wie: „Schwing dich einfach höher.“

Echte Spiritualität erkennen

Bei echter Spiritualität fragst du dich nicht: „Fühlt sich das gut an?“ Du fragst: „Führt mich das zur Wahrheit?“

Sie sucht nicht nach Bestätigung, sondern nach Erkenntnis. Sie meidet nicht den Schatten, sondern integriert ihn. Sie macht nicht andere verantwortlich, sondern übernimmt Verantwortung. Bei ihr geht es nicht um Zeit oder um ein festes Ziel, sondern um den Weg.

Echte Spiritualität ist radikal ehrlich. Mit dir selbst vor allem.

Der Mut zur Unannehmlichkeit

Wenn du über 40 oder 45 bist (alle anderen vor 40 haben bei mir noch Welpenschutz) und immer noch dieselben Muster lebst, immer noch dieselben Dramen anziehst, immer noch an derselben Stelle festhängst … dann ist es Zeit für Ehrlichkeit. 

Nicht für mehr positive Affirmationen. Nicht für höhere Schwingungen. Nicht für neue Engelskarten.

Sondern für den Mut, endlich hinzuschauen.

Ein liebevoller Weckruf

Falls du dich in diesem Text wiedererkennst: Das ist nicht schlimm. Das macht dich nicht zu einem schlechten Menschen. Es macht dich zu einem Menschen, der bereit ist, aufzuwachen.

Spirituelles Bypassing ist verführerisch, weil es sich so liebevoll anfühlt. Aber echte Liebe zeigt dir manchmal unbequeme Wahrheiten.

Die Frage ist: Willst du weiter in der spirituellen Komfortzone bleiben und dein spirituelles Ego weiterfüttern, oder bist du bereit für echte Transformation?

Echte Transformation beginnt nicht mit „Das fühlt sich gut an“, sondern mit „Das zeigt mir etwas über mich, was ich bis jetzt nicht sehen wollte.“

Bist du bereit, hinzuschauen?

Die Wahrheit ist nicht immer bequem. Aber sie ist immer befreiend.