„Ich weiß das alles“ – Warum Wissen ohne Handeln uns gefangen hält
Wenn ich für jedes „Das weiß ich ja alles“ einen Euro bekäme, wäre ich längst Millionärin.
Und trotzdem sitzen Menschen vor mir, verzweifelt, traurig, wütend, weil sich nichts ändert. Trotz des großen Wissens.
Ich erlebe es immer wieder: Menschen kommen zu mir, erzählen ihre Geschichte, und kaum gebe ich ihnen eine Erklärung oder einen Impuls, höre ich: „Ja, das weiß ich alles.“ Manchmal kommt die Botschaft sogar aus der geistigen Welt, und wieder das Gleiche: „Das weiß ich ja schon.“
Aber hier ist die Wahrheit: Wissen allein ändert gar nichts. Null.
Der Unterschied zwischen Wissen und Verstehen
Wenn du weißt, wie man abnimmt, aber trotzdem jeden Tag Schokolade isst, weißt du es zwar, aber du lebst es nicht. Und so läuft das bei uns allen mit unseren Themen.
Wir wissen genau, dass wir da hinschauen müssen. Wir kennen den Schmerz, wir kennen unsere Angst. Aber wir verdrängen es, reden drumrum, tun so, als ob es Wissen wäre, dabei ist es eine Schutzbehauptung.
Das Problem liegt in unserem beschränkten Fokus. Wir glauben, wir wissen alles, aber durch unsere Begrenzungen sehen wir nicht das ganze Bild. Wir verstehen nicht das Warum hinter unseren Mustern. Wir erkennen nicht die tieferen Zusammenhänge.
Die Illusion des einmaligen Handelns
Besonders perfide wird es, wenn Menschen glauben, sie hätten „das schon mal gemacht“. Einmal hingeschaut, einmal drüber geredet, einmal eine Entscheidung getroffen und damit wäre es erledigt.
So funktioniert Heilung und Transformation nicht.
Wahre Veränderung ist ein Prozess, kein Ereignis.
Was wir wirklich verdrängen
In meiner Arbeit sehe ich immer wieder die gleichen Themen:
Die Angst vor dem Unbekannten. Menschen wissen, dass sie sich verändern müssen, aber die Angst vor dem, was danach kommt, hält sie gefangen.
Das Loslassen der Kinder. Selbst wenn die „Kinder“ schon Mitte dreißig sind, können Eltern nicht loslassen. Besonders schwer wird es, wenn die Kinder krank sind oder Probleme haben.
Die Angst vor Konflikten. Ich hatte kürzlich eine junge Frau, die sich zum ersten Mal in ihrem Leben durchringen musste, jemanden anzuklagen. Das war unglaublich schwer für sie, aber notwendig.
Die Angst vor der eigenen Macht. Viele Menschen wissen, was sie könnten, aber sie haben Angst vor ihrer eigenen Kraft.
Das Netzwerk der Verdrängung
Was du verdrängst, zieht sich durch alle Lebensbereiche. Es sabotiert deine Beziehungen, bremst deinen Erfolg, raubt dir den Frieden und hält dich klein. Immer. Überall.
Das eine verdrängte Thema ist nie nur das eine Thema. Es durchzieht alles … wie du liebst, wie du arbeitest, wie du dich zeigst, wie du lebst.
Warum verdrängen wir überhaupt?
Psychologisch gesehen ist Verdrängung ein Schutzmechanismus. Unser Unbewusstes will uns vor Schmerz bewahren. Es flüstert uns zu: „Das ist zu gefährlich, zu schmerzhaft, zu überwältigend.“
Aber dieser Schutz wird zur Falle. Denn was wir nicht integrieren, kontrolliert uns. Was wir nicht anschauen, bestimmt unser Leben aus dem Schatten heraus.
Die Angst vor dem Schmerz ist oft größer als der Schmerz selbst.
Von der Erkenntnis zur Integration
Integrieren heißt nicht drüber reden, wie du schon hundertmal darüber geredet hast. Integrieren heißt, die wahren Punkte zu benennen. Die, vor denen du Angst hast. Die, die dich nachts wachhalten.
In meiner Arbeit führe ich Menschen durch ihre Situationen. Wir gehen gemeinsam hinein in das, was ist. Ich erkläre ihnen nicht nur, was passiert, sondern auch, warum es passiert. Warum diese Situation genau für sie da ist. Was der tiefere Grund ist.
Und dann – und das ist der Punkt, an dem die meisten stehenbleiben – kommt der Schritt. Der Schritt ins Handeln.
Der Moment der Wahrheit
Niemand kann dir diesen Schritt abnehmen. Keine Therapeutin, kein Coach, kein Partner. Du musst durch diese Angst hindurch. Du musst das Gespräch führen. Du musst die Entscheidung treffen. Du musst handeln.
Und ja, es ist unangenehm. Es ist schwer. Aber weißt du, was noch schwerer ist? Jahr für Jahr am selben Punkt zu stehen und sich zu fragen: „Warum ändert sich nichts?“
Wann sind Menschen wirklich bereit?
Ich erkenne es daran, wenn jemand sich für eine längere Begleitung entscheidet. Drei, sechs oder neun Monate. Dann zeigt sich, wie viele Schritte sie wirklich bereit sind zu gehen.
Nicht jeder geht alle Schritte. Manche brauchen sehr lange, bis sie einen Schritt gehen können. Das ist normal. Transformation benötigt Zeit.
Aber die Bereitschaft zeigt sich in der Verbindlichkeit. In der Entscheidung, dranzubleiben, auch wenn es schwer wird.
Die Geschwindigkeit der Veränderung
Manche Menschen glauben, Veränderung müsse schnell gehen. Aber echte, tiefgreifende Transformation braucht Zeit. Deswegen bin ich immer für die neun Monate Begleitung.
Es ist wie beim Lernen einer neuen Sprache. Du kannst nicht erwarten, dass du nach einem Tag fließend sprichst. Du musst täglich üben, dich immer wieder überwinden, immer wieder über deine Komfortzone hinausgehen.
Heilung ist ein Marathon, kein Sprint.
Der Körper lügt nie
Hier ist etwas, was die meisten übersehen: Dein Körper weiß die Wahrheit. Während dein Verstand dir erzählt „Das weiß ich alles“, reagiert dein Körper anders. Die Anspannung im Nacken, wenn das Thema aufkommt. Das flaue Gefühl im Magen. Die Unruhe, die dich nachts wachhält.
Der Körper speichert, was der Verstand verdrängt. Und er zeigt dir ehrlich, wo noch Arbeit zu tun ist.
Wahre Integration geschieht nicht im Kopf. Sie geschieht, wenn Kopf, Herz und Körper wieder in Einklang sind.
Die Scham des Nicht-Wissens
Ich erlebe das gerade mit einer Teilnehmerin. Sie hat sich angemeldet, damit ich ihr zur Seite stehen kann. Aber dann traut sie sich wochenlang nicht, sich bei mir zu melden. Warum? Weil sie Angst hat, ich könnte denken, sie wüsste es nicht, sie könne es nicht.Dann kommt noch die Scham dazu: „Mein Gott, ich weiß das ja alles noch nicht. Jetzt kann ich das der Claudia ja nicht sagen.“
Das ist kompletter Bullshit.
Niemand erwartet von dir, dass du schon alles weißt. Niemand erwartet von dir, dass du schon alles kannst. Genau deswegen suchst du dir ja Hilfe.
Die Angst, „zu dumm“ oder „zu wenig entwickelt“ zu sein für Hilfe, hält mehr Menschen gefangen als alle anderen Ängste zusammen.
Das ist der perfekte Teufelskreis: Sie braucht Hilfe, aber traut sich nicht, um Hilfe zu bitten, weil sie glaubt, sie müsste es schon können.
Die Angst vor dem Investieren – in sich selbst
Viele Menschen gehen überall hin und hoffen, dort etwas zu hören, was sie weiterbringt. Aber echte Verbindlichkeit? Fehlanzeige. Sie wollen investieren, aber nicht wirklich. Sie wollen Veränderung, aber bitte ohne Risiko.
Das Geld ist nur der Vorwand. Die wahre Angst liegt tiefer: die Angst, sich selbst ernst zu nehmen.
Geld zu investieren bedeutet Verbindlichkeit. Es bedeutet, dass du nicht mehr nur hoffst und träumst, sondern tatsächlich handelst. Dass du aufhörst, darauf zu warten, dass sich etwas von alleine ändert.
Für viele ist das Geld der letzte Ausweg vor der Veränderung. Solange sie nichts investieren, können sie sich vormachen, sie würden „ja schon was tun“. Aber echtes Investment? Das macht es real. Und das macht Angst.
Der Mut zum ersten Schritt
Egal, ob du schon Jahre an dir arbeitest oder gerade erst anfängst, letztendlich ist es egal. Jemand kann schon viele Jahre „dran sein“ und noch keinen wirklichen Schritt gegangen sein. Dann ist er immer noch am Anfang.
Weil er eben immer ausweicht. Weil er das Wissen als Ausrede benutzt, um nicht handeln zu müssen.
Der Unterschied zwischen denen, die sich verändern, und denen, die stehenbleiben, ist nicht das Wissen. Es ist der Mut, zu handeln. Auch wenn es wehtut.
Du kommst nicht dahin, wo du hinwillst, wenn du dich selbst belügst. Wenn du so tust, als wäre Wissen genug.
Solange du das nicht änderst, bleibt dein Wissen eine hübsche Sammlung von Ideen. Aber dein Leben? Bleibt gleich.
Die Frage ist nicht, ob du bereit bist, alles zu wissen. Die Frage ist, ob du bereit bist, alles zu fühlen. Und dann zu handeln.
Auch wenn dir dabei der Arsch auf Grundeis geht. Auch wenn es wehtut. Auch wenn du nicht weißt, was danach kommt.
Denn das ist der einzige Weg zur Freiheit: durch die Angst hindurch.
Wenn dieser Text etwas in dir berührt hat, wenn du dich in den Worten erkannt hast, dann ist da etwas, was gesehen werden will. Etwas, was integriert werden möchte.
Der erste Schritt ist immer der schwerste. Aber er ist auch der wichtigste.
Bist du bereit?
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